Mobbingopfer, Schulabbrecher - Hilfe für Jugendliche, die aus der Bahn geraten sind
Aschersleben/Bernburg – Sie kam aus einer intakten Familie, sie war eine gute Schülerin, ihr Realschulabschluss eigentlich nur eine Formsache. Irgendwann aber fing Janine (Name geändert) an, die Schule zu schwänzen. „Sie wollte partout nicht zurück“, erinnert sich Roland Niehoff. Der Sozialarbeiter führte Gespräche mit der Schule, ihren Eltern und auch mit der 16-Jährigen selbst.
Hilfe für ein Mobbing-Opfer
Es stellte sich schnell heraus, dass Janine von Mitschülerinnen gemobbt wurde, „purer Zickenkrieg“, wie Niehoff sagt. Sie wechselte auf sein Bemühen hin schließlich von einer Sekundarschule an die Berufsschule in Aschersleben, wo sich ihre Leistungen schnell wieder fingen und wo sie heute kurz vor ihrem Abschluss steht.
Es ist nur einer von vielen Fällen, in denen junge Menschen aus der Bahn geraten – entweder, weil es Probleme in der Familie gibt oder eben im Umfeld. Die Schilderung zeigt aber noch etwas: nämlich den Erfolg des Projekts „Jugend stärken im Quartier“.
Bundesprojekt läuft seit zwei Jahren
Jenes Bundesprojekt also, das seit mehr als zwei Jahren im Landkreis läuft und mit dessen Hilfe etliche Jugendliche zwischen 12 und 26 Jahren wieder zurück in die Spur gefunden haben. Zu der Einschätzung kommen jedenfalls nicht nur der Sozialarbeiter Niehoff vom Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) in Aschersleben, er spricht allein in seinem Bereich von 27 Erfolgsgeschichten, und auch die für das Projekt zuständige Kreisverwaltung, die nach einer Mitteilungsvorlage bereits im Oktober 2016 zu der Aussage gelangte:
„Die Case-Manager werden sehr gut in die Hilfeplanung eines jungen Menschen einbezogen und stellen somit ein zusätzliches Hilfsangebot in der Kinder- und Jugendhilfe dar.“ Auch Kreistagsmitglied Ralf-Peter Schmidt (Die Linke) aus Staßfurt hält das Projekt für löblich. „Damit kann klassische Einzelfallhilfe geleistet werden, die mit dem normalen Haushalt nicht abgesichert werden kann.“
Viele Schulschwänzer in Klassen 7 und 8
Wie wichtig die Arbeit von Case-Manager Niehoff und seinen zwei Kollegen vom Verein Dienstleistungszentrum Bernburg und vom Verein Rückenwind Schönebeck tatsächlich ist, zeigen folgende Zahlen: Die Kreisverwaltung registrierte nach eigenen Angaben im Schuljahr 2015/16 insgesamt 108 Schulpflichtverletzungen, die meisten davon in den Klassen sieben und acht.
Hinzu kamen im gleichen Schuljahr mehr als 250 Kinder, die entweder nicht den Hauptschulabschluss schafften oder nur ein Abgangszeugnis erhielten. Alle gehören damit zur Zielgruppe des eine Millionen Euro teuren Projekts, das insbesondere auch für junge Langzeitarbeitslose gedacht ist, die vielleicht eine Bildungsmaßnahme beim Jobcenter abgebrochen haben, oder junge Menschen, die gar ihre reguläre Ausbildung vorzeitig beendet haben und damit auch in eine kriminelle Zukunft abzurutschen drohen.
Kreis, Jobcenter und Sozialarbeiter kooperieren
Wobei die Zahlen nur der oberflächliche Ausdruck der eigentlichen Probleme sind. Sozialarbeiter Niehoff versucht in Gesprächen jedenfalls herauszufinden, wo der Schuh wirklich drückt und begleitet die Jugendlichen danach auf ihrem weiteren Weg zurück.
Dabei nutzt er auch Angebote in unmittelbarer Umgebung des Hilfesuchenden – deshalb auch der Name „Quartier“. Niehoff spricht bei alldem von Wiedereingliederung. Unterstützt wird er dabei von der Kreisverwaltung, dem Jobcenter und vielen Schulsozialarbeitern.
Die Wiedereingliederung gelingt bei einigen Jugendlichen seinem Erfahren nach manchmal schneller, wie das Beispiel der 16-jährigen Janine zeigt. Bei anderen benötigt Niehoff deutlich mehr Zeit, so wie bei dem 20-jährigen Kevin (Name ebenfalls geändert) aus der Region Staßfurt, der zwar seinen Hauptschulabschluss längst in der Tasche, aber offenbar falsche Vorstellungen vom Leben hat, wie Niehoff sagt.
Hilfe bei Bewerbung und Praktika
Jedenfalls habe ihm der Sozialarbeiter „erst mal von seinen Ansprüchen runterholen müssen“. Kevin wandte sich zunächst selbst an Niehoff mit der Bitte, ihn bei der Jobsuche zu unterstützen. Der BBRZ-Mitarbeiter half also bei den Bewerbungsunterlagen, begleitete ihn zum Jobcenter und vermittelte sogar Praktikumsplätze. Ohne Erfolg. Nach einigen Absagen sitzt Kevin heute immer noch zu Hause. „Es läuft nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe“, konstatiert Niehoff nach immerhin über einjähriger Begleitung.
Oft fehlten Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit oder Höflichkeit
Theoretisch ist für ihn der Fall zwar noch nicht abgeschlossen, gleichwohl sagt der Sozialarbeiter, fehle es heutzutage vielen jungen Menschen an Tugenden wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit oder Höflichkeit. Und damit „blockieren sie sich quasi selbst“. Denn trotz aller Kritik gerade nach den Kürzungen im Jugendhilfebereich. Es werde viel getan. „Wenn sich eine Tür schließt, geht eine andere auf“, sagt Niehoff, der seit 20 Jahren in dem Bereich arbeitet. Tatsächlich setzt die Hilfe im Kreis schon viel früher an: Bei Bedarf kümmern sich bereits Familienhebammen vor der Geburt um die Familie, später stehen auch sogenannte Familienintegrationscoaches und Teilhabemanager zur Verfügung. (mz)
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